Geboren 1969 in Unna / Westfalen Studium der Philosophie, der deutschen Literatur und Sprache und der Geschichte in Bonn, Freiburg und Edinburgh Promotion im Fach Mittelalterliche und Neuere Geschichte bei Klaus Hildebrand an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent, Forschungsstipendiat und Lehrbeauftragter für Philosophie und Geschichte an der Universität Bonn, der Katholischen Universität Eichstätt und der Humboldt-Universität Berlin Reden und Texte u.a. für Angela Merkel, im Bundespräsidialamt und im Bundesfinanzministerium für Wolfgang Schäuble Publizistische Arbeiten u.a. für Welt, FAZ und ZEIT und als Buchautor im Rowohlt-Verlag Leiter des Feuilletons der Zeitschrift Cicero
Es gab auffallend viele scheiternde Gespräche und vergiftete Abende in diesem Jahr. Rückblick und Rechenschaft in sechs Skizzen. download (jpg)
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Nun im Kino, unter der Regie
von Greta Gerwig – aber was für ein Leben steht hinter Louisa May
Alcotts Welterfolg der „Little Women” (deutsch: „Betty und
ihre Schwestern”) aus dem Jahr 1868! Und was für ein wunderbares
Buch ist das doch! Weltliteratur einer besonderen Frau.
Scarlatti, aber nicht
Domenico, sondern Alessandro, der Vater für die meisten wohl kaum
mehr als ein Name. Aber wer die Barocktage der Staatsoper Unter den Linden
diesen Herbst besucht hat, dem leuchten künftig bei beiden Scarlattis die
Augen.
Bisher sind
„1685” und „555” gebenedeit unter den Zahlen der Musik.
1685 wurden Bach, Händel und Scarlatti geboren – Domenico Scarlatti.
Und 555 „Sonaten” genannte Zauberstücke für Cembalo hat
dieser Domenico komponiert. Nun ist die Zahl 799 hinzugekommen. So viele
weltliche Kantaten für ein oder zwei Singstimmen und kleinste Besetzung,
sozusagen vokale Kammermusik, sollen von Domenicos Vater, Alessandro Scarlatti,
erhalten sein. Ein szenisch gestalteter Querschnitt daraus ist jetzt an der
Staatsoper Unter den Linden der allgemeinen Bewunderung preisgegeben. Was
für ein Kontinent da offenbar noch zu entdecken liegt, lässt den Atem
stocken.
Es war ein glücklicher
Zufall: die Wiederlektüre von „Effi Briest” und „Madame
Bovary”, in dieser Reihenfolge. Wieder die unendliche Sympathie für
einen der menschenfreundlichsten Schriftsteller überhaupt. „Effi
Briest” und „Der Stechlin”, ewige Lieblinge. Dann Flaubert.
Und die Empörung wuchs über die vierhundert Seiten. Als Student nimmt
man offenbar alles hin. Die Grausamkeit dieses Autors gegen seine Figuren ist
grenzenlos. Wie heikel es auch sein mag, etablierte Ranglisten der
Weltliteratur zu bezweifeln: Für ein eindeutiges Lesegefühl zugunsten
Fontanes müssen sich Gründe nennen lassen.
Innsbruck leuchtet. Die
Stadt, die Berge, das Goldene Dachl sowieso. Aber ein Leuchten ist auch in den
Augen. In vielen Augen immerhin. Und ein Lächeln. Man lächelt sich
an, weil man zu sehen glaubt, dass auch der andere angefüllt ist mit
etwas, das hier in diesen Wochen in der Luft liegt, in der Luft klingt.
Wir haben nicht viele
Gottfried von Cramms. Umso unverständlicher, dass er heute keine Rolle im
besseren deutschen Gedächtnis spielt. Und umso erstaunlicher, dass es
diesen Film noch nicht gibt. Was hätte man da zu erinnern und in eine
Geschichte zu bringen! Und was wären das für Bilder! Das
staunenerregende Leben eines außergewöhnlichen Deutschen im 20.
Jahrhundert das Leben des „schwulen Antifaschisten” (taz),
adeligen Beaus, elegantesten Tennisspielers aller Zeiten, zeitweise Ehemanns
der reichsten Frau der Welt: Gottfried Freiherr von Cramm (1909-1976). Man
hätte zu erinnern das Leben eines schönen, umjubelten und sportlich
wie charakterlich tatsächlich bewunderungswürdigen Mannes der
im Grunde einsam bleibt und für seine Liebe zu Männern wie zu Frauen
nicht nur in den Jahren des Nationalsozialismus keine lebbare Form findet. Ein
glanzvolles und zugleich tieftrauriges Leben. Vor dem Innern einer großen
unerfüllten Sehnsucht eine äußerlich lebenslang
unerschütterliche Freundlichkeit und bescheidene Demut. Selten ist ein
Deutscher gewinnender aufgetreten.
Nation? Wer das Wort
aussprechen kann, ohne dass es ihm peinlich ist, muss entweder dumm oder rechts
sein und meist ja dann beides. Oder? Vielleicht bedeutet das neue
Interesse an der Nation hierzulande eine sehr politische Hinwendung zu dem, was
wir tatsächlich erst einmal national besser hinkriegen müssten.
Nation ist nicht notwendig abgeschlossen-eifersüchtige Angst-Aggression,
sondern kann immer neu Entstehungsraum für vernünftig-kraftvolle
Entscheidungen sein, aus denen dann auch übernational etwas folgt. Man
bezeichne, wenn einem die Demokratie lieb ist, das nationale
Selbstbestimmungspathos nicht besserwisserisch als hohl mit dem
soziologischen Argument heutiger grenzüberschreitender Verflechtungen und
dergleichen. Denn ohne jene staatsbürgerliche Ambition wird die Demokratie
keine Zukunft haben.
Man spricht wieder über Autorität, nicht nur rechts. Gegen die nervende Aufmüpfigkeit gefühlt Aller, die früher einigermaßen pflegeleicht konsumierten, wird die Forderung nach einer neuen Anerkennung von Autorität und Autoritäten erhoben: Dass man wieder zu hören beginne auf die, die einen Vorsprung im Urteil haben, auf die, die sich die Mühen der „Reflexion” machen. Es sind vor allem zwei Überlegungen, die gegen diese Forderung und gegen den Autoritäts-Begriff im politischen Zusammenhang sprechen. Die eine hat mit der Gleichheit zu tun, die andere mit der Wirklichkeit. download (pdf)
Eduard Graf von Keyserling,
von baltischem Adel, aufgewachsen auf dem Gut seiner Eltern in Kurland auf dem
Gebiet des heutigen Lettland, die letzten zwei Jahrzehnte seines Lebens, das am
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Erweckungserlebnis Weimar
klingt nicht sehr originell. Aber diesmal geht es nicht um Goethe. Sondern um
lebendigste Gegenwart. Und zwar die Gegenwart von Bürgerlichkeit, wie man
sie sich schöner, unprätentiöser, deutscher nicht denken kann.
Protestantisch allerdings. Aber Charakter gibt es nicht ohne Bestimmtheit und
So-Sein. Evangelischer Gottesdienst als sozial-kultureller Brennpunkt, als
Arche Noah stilbildender Bürgerlichkeit.
Texte deutscher
Wissenschaftler, Schriftsteller, Praktiker der verschiedensten Berufe über
Gegenden der Welt aus dem Jahrhundert zwischen 1770 und 1870: „Der
Deutsche in der Landschaft”. Zusammengestellt 1927 von einem Monarchisten
und Republikgegner, der kurz darauf „Zugangsstellen” zu einem ihm
brauchbar scheinenden Nationalsozialismus zu erkunden empfahl. Da ist das
Bedürfnis nach Schublade eigentlich ausreichend befriedigt, und viele
mögen hier schon abwinken. Aber es verhält sich anders. Unendlich
viel tiefer verhält es sich.
Zwei Texte haben mir in den
letzten Wochen richtig schlechte Laune gemacht. Zwei große
Feuilletonaufmacher, einer in der Süddeutschen Zeitung, einer in der ZEIT,
beide von Soziologen. Dass es Soziologen waren, ist wichtig, denn die
soziologische Perspektive war der eigentliche Grund für die Verstimmung.
Ich will nicht für eine sozial-kulturelle Gruppe verhaftet werden und
gleich auch für eine politische Haltung, die irgendwie kausal mit jenem
typisierten Lebensentwurf verknüpft sein soll. Den Ausweg weist die
Unterscheidung von Gesellschaftsbürger und Staatsbürger.
Das Links-Rechts-Schema ist
von gestern, hört man immer. Ist es das? Und wäre das
wünschenswert? Und was gilt denn als die Alternative? Vor allem die
„Mitte” und am Ende stets eine neue Koalition von Union und
SPD. Aber beides verwischt die Unterschiede, um die es immer noch und heute
wieder geht. Und beides ist verantwortlich für eine sterile politische
Debatte, in der sich alle aus dieser allzu breiten Mitte heraus warnend an der
AfD abarbeiten. Deshalb: Ein Definitionsversuch, ein Rechts-Links-Kanon
politischer Grundgefühle in 39 Thesen und in lockernder Absicht!
Gerade noch war der deutsche
Liberalismus in seiner Parteigestalt in den bundespolitischen Raum
zurückgekehrt und schien im Begriff, Gegenstand eines zwar scheuen, aber
eben doch eines gewissen Interesses zu werden. Nach dem Rückzug aus den
Jamaika-Sondierungen hat sich dieser zarte Stimmungswandel in weiten Teilen der
diskutierenden Berliner Abendwelt wieder in die alte deutsche
Liberalismus-Skepsis zurückverwandelt, und die neue liberale
Verantwortungslosigkeit verbindet sich zwanglos mit alten und
jüngeren Vorbehalten. Zeit für eine Liberalismus-Verteidigung!
Dieser Folge kürzerer
und längerer Reflexionen, geschrieben von 1944 bis 1947, erschienen 1951,
hat man seither meist versucht zu entkommen: Ihrer Negativität, ihrer
Verneinung der Möglichkeit von Leben und Dichten nach Auschwitz als
Zeichen des Zustands der modernen Welt. Aber doch, unbedingt: Man setze sich
dieser Negativität aus! Selten ging vom Deprimierenden so viel positive
Energie aus. Und man reibt sich die Augen: Eines der ersten Gedichte nach
Auschwitz schrieb Adorno.
Die im vergangenen Jahr noch
allgegenwärtige Sorge um unsere politische Kultur im Fadenkreuz des
Populismus scheint gegenwärtig einem erneuerten
Stabilitätsgefühl zu weichen. Andererseits trifft man nach wie vor
auf ein vielfältiges, anhaltendes und fundamentales Unbehagen in und an
der realen Demokratie der deutschen Gegenwart. In deeskalierender Absicht wird
hier die These vertreten: Unsere repräsentative Demokratie funktioniert
auf eine freilich ziemlich vertrackte Weise, die anzuerkennen zudem die
Bereitschaft erfordert, von der eigenen Superkompetenz zu gegebener Zeit auch
einmal abzusehen.
Dass die Leitkultur-Debatte
immer wiederkehrt, heißt auch, dass es um etwas zu gehen scheint
und zweitens, dass Beiträge zur Klärung des Begriffs und der Begriffe
nach wie vor nötig sind. Um uns klar zu werden, ob der Begriff der
„Leitkultur” die Antwort richtig benennt, müssen wir uns
zuerst um die richtige Fassung der Frage bemühen. Was wir wissen wollen,
ist doch: Was kann Integration heißen? Was kann den Zusammenhalt einer
Gesellschaft von Menschen verschiedenster Herkunft begründen? Wie
können wir das nennen, dessen Anerkennung durch jeden in Deutschland
Lebenden wir fordern wollen? „Leitkultur” können wir es nicht
nennen.
Warum fangen wir das immer
wieder an mit der Leitkultur? Was ist das tiefe Bedürfnis hinter und unter
dem Wort? Offenbar doch die Sehnsucht nach einer weniger disparaten
Gesellschaft biographisch genährt durch die Erinnerung an eine
solche. Durch die Erinnerung an die alte Bundesrepublik; an eine Zeit damit
auch, in der die „Dritte” Welt der Ersten noch nicht nahe kam.
Vermutlich sind wir, wenn wir die Debatte mit einer gewissen Grundsympathie
führen oder begleiten, zwischen Abi 68 und Abi 88 und eher westdeutsch.
Und vermutlich sind wir männlich.
Das war eine steile
Karriere. Wenige Monate, nachdem man das Wort zum ersten Mal gehört hatte,
war es von der Gesellschaft für deutsche Sprache bereits zum Wort des
Jahres 2016 erklärt. Aber ist „postfaktisch” auch ein Wort,
das uns den Zustand unserer politischen Kultur richtig deutet? Die Forderung
nach Berücksichtigung der Komplexität aller politischen Fragen, nach
Demut und Selbst-Relativierung, ist viel hilfreicher und klüger als die
nach der gefälligsten Anerkennung von Fakten.
Unsere westlich-liberalen,
gewaltenteiligen Verfassungen sind keine Schönwettertexte. Es sind echte
politische Lebensversicherungen. Gar nicht schlecht, dass wir ihnen in der
Amtszeit Donald Trumps einmal bei der Arbeit zusehen. Dann wissen wir besser,
worauf genau wir stolz sein können.
Wut, Verachtung und
Selbstüberschätzung schwellen in unserer Zeit beängstigend an.
Wo sollen die versöhnenden Kräfte herkommen, die wir so
unübersehbar brauchen? Natürlich, auch die politischen und
wirtschaftlichen Verhältnisse müssen so sein, dass unsere westlichen
Gesellschaften zusammenhalten. Aber es müssen sich eben auch die
Gemüter beruhigen. Es braucht eine neue Milde. Wo soll sie herkommen?
Neulich leuchtete sie aus einem Buch, für das heftige Begeisterung zu
bekennen man in diesem Zusammenhang etwas Mut braucht: Nils Holgerssons
wunderbare Reise mit den Wildgänsen! Historistische Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts hat sich Begriffs- und Gedankenlosigkeit durchaus nicht vorzuwerfen. Sie entwickelt eine undogmatische Vielfalt der Erklärungen zwischen „idealistischen” und „materialistischen”, wobei letztere in diesem Jahrhundert der „sozialen Frage” nach vorn rücken. Sie urteilt differenziert über die immer neue Frage, ob Personen oder ob überindividuelle Strukturen das historische Geschehen bestimmen, wobei Urteile zugunsten der letzteren in diesem Jahrhundert Hegels wiederum durchaus überwiegen. Diese Geschichtsschreibung ist in ihren bedeutenden Hervorbringungen nicht enge politische Ereignisgeschichte, sondern weitgespannte Kultur- und Verfassungsgeschichte.
Ein hervorstechender Zug der deutschen Gesellschaft unserer Tage ist die staatsbürgerliche Übellaunigkeit. Eine große Verdrossenheit liegt über dem Land. In der Folge von Sozialstaatsreformen, Finanzkrisen und Infrastrukturentscheidungen geraten Wirtschaftsordnung und repräsentative Demokratie in die Defensive. In dieser Situation ein Vorschlag zur Güte - zur Güte unseres Landes. http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13948127/Unser-Land-Ein-Vorschlag-zur-Guete.html
Nur im Höhenflug kommt eine Geschichte zustande. Ohne ein Problem und eine Fragestellung, die über die bloßen Geschehnisse emporheben, hat nie Geschichtsschreibung das an sich unverständliche Raum-Zeit-Chaos in eine lesbare gedankliche Ordnung gebracht. Alle Geschichtsschreibung ist Problemgeschichte. Deshalb kein seriös-professorales Zagen vor angeblich so besonders abgehobenen und so besonders subjektiven weltgeschichtlichen Entwürfen: Formuliert Eure Probleme, stellt Eure historischen Fragen an die heutige Weltlage, und schreibt! download(pdf)
In der Historie geht der positivistische Gestus einer „Anwendung” von „Methoden” prinzipiell irre. Und auch praktisch gerät die verbreitete geschichtswissenschaftliche Methodenhuberei meist zur Karrikatur von Wissenschaft. Da wird mit viel theoretischem Tamtam das Rad neu erfunden und es werden Entdeckungen gemacht, die man auch ohne das mühsam bereitete „Instrumentarium” hätte machen können. Dem durch die Festlegungen des theoretischen Vorbaus verengten Blick entgeht gerade die Vielfalt der historisch wirkenden Kräfte. Das spezifische Bemühen des Historikers ist es nicht, sich Schablonen zurechtzuzimmern, sondern möglichst vielseitig „forschend zu verstehen” (J. G. Droysen).
Bisher sucht man ohne rechten Erfolg nach Momenten einer „Wandlung” Thomas Manns vom konservativen Unpolitischen zum Republikaner zwischen 1918 und 1922. Dieser Aufsatz zeigt, daß schon der riesige Essay der „Betrachtungen” jene Gedanken entwickelt, die Thomas Mann den Friedensschluß mit der Weimarer Republik ermöglichten.
Paul Kirchhofs Erscheinen auf der politischen Bühne im Jahre 2005 schien das Ende der jahrzehntelangen Verdrängung eines bestimmten Typs konservativer Staatsskepsis in Deutschland zu bedeuten. Diesem Denken galt die seit den 1950er Jahren immer zunehmende Verstrickung des Staates in die gesellschaftlichen Abläufe als das Grundübel der politischen Ordnung der Bundesrepublik. In den 60er Jahren setzten sich jedoch die gegnerischen Stimmen durch, die der ausdrücklichen Aufgabe der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und gleichzeitig einem forciert steuernden und planenden Staat das Wort redeten. Gegen den zeithistorischen Konsens einer allmählichen aber gründlichen „Liberalisierung” der alten Bundesrepublik liegt dem Essay die These zugrunde: In dieser zentralen Frage politischer Struktur und Kultur hat nie eine Liberalisierung Deutschlands stattgefunden. http://www.welt.de/print-welt/article182414/Gegen-die-Allmacht-der-Obrigkeit.html Der Bürger, das Bürgertum, das Bürgerliche verschwinden weder, noch erfahren sie gerade eine Renaissance. Es gibt sie einfach seit dem 19. Jahrhundert in durchaus ähnlicher Weise. Das Auf und Ab der Diskurse und Diagnosen berührt die fortdauernde Existenz eines Menschentyps nicht, der sich den Willen nicht nehmen läßt, unter den Bedingungen der modernen Welt ein selbstgestaltetes und frei geordnetes Leben zu führen. Vierfach scheint der Sinn des Bürger-Begriffs in der schwelenden Debatte zu sein: Der „Bürger” als Staatsbürger, der „Bürger” als Akt einer Selbstzuschreibung emphatisch-elitärer Art, der „Bürger” als der vorherrschende soziale Typ, der „Bürger” als Projektion reformpolitischer Appelle. Der Essay versucht einen ruhigen Blick auf die Wirklichkeit des Bürgerlichen und auf seine vermuteten Gefährdungen.
download (pdf) Carlyle und Treitschke verehren nicht bedingungslos die geniale Willkür großer historischer Persönlichkeiten, wie es ihnen vorgeworfen wird. Historisches Handeln ist im Werk der beiden Geschichtsschreiber – ganz im Stil dieses historistischen, hegelianischen Jahrhunderts – beschränkt und bestimmt von den Notwendigkeiten eines über den Einzelnen stehenden Geschichtsverlaufs, der menschlichem Tun präzise Aufgaben stellt. Der Held tut, was von „der Geschichte” verlangt ist.
download (pdf) Vorgeschichte und Charakter der frühbundesrepublikanischen, katholischen und protestantischen Debatte um die historisch-politische Heilkraft des „christlichen Abendlandes” werden in einem Überblick erörtert. Die wichtige Frage dabei ist: Hat das Abendland-Denken die Deutschen nach Europa geführt, oder besteht seine historische Eigenart darin, der konservativen Demokratie-Skepsis der zwanziger und dreißiger Jahre noch einmal einen gewissen Wirkraum gegeben zu haben, bevor sie – diese Skepsis – von der politischen und gesellschaftlichen „Verwestlichung” und vom ökonomischen Erfolg der Bundesrepublik verdrängt wurde? Die versuchte Antwort: Die Abendland-Diskussionen kennzeichnet dieses eigentümliche Doppelgesicht; politisch heilsam Gewordenes und Zukunftsweisendes ist verwoben mit einem Denken von Staat und Gesellschaft, für das im Deutschland der frühen Bundesrepublik kein Raum mehr war noch sein konnte. Thomas Manns Weise des erzählerischen Umgangs mit persönlichen und literarischen Begegnungen ist als vertrackt bekannt. Ein neuer subtiler Fall wird in diesem Aufsatz aufgerollt. Der Historiker Erich Marcks als Person und einer seiner besonders gelungenen historischen Essays, der von 1893 über König Philipp II. von Spanien, haben höchst kunstvoll Eingang gefunden in Erzählstruktur, Motivik und Klang von Thomas Manns Erzählung.
Fichtes Philosophie der „Reden an die deutsche Nation” war von immenser Wichtigkeit für die nationalen deutschen Selbstdeutungen im späten Kaiserreich, im Weltkrieg und noch darüber hinaus. Der Aufsatz zeichnet die breite Fichte-Rezeption vor 1914 nach, verfolgt den dringlicher werdenden fichteanischen Ton im Krieg, beleuchtet als institutionelle Ausformung dieses Denkens die „Fichte-Gesellschaft von 1914” und fragt nach den politischen Ordnungsvorstellungen derjenigen, die sich Fichte als geistigen Führer erkoren.
Ein Buch über einen außergewöhnlichen Deutschen im 20. Jahrhundert: Baron aus uraltem Geschlecht, Beau im Berlin der 1930er Jahre, in dieser Zeit zweitbester Tennisspieler der Welt, für viele der eleganteste Spieler aller Zeiten. Selten ist ein Deutscher gewinnender aufgetreten. Der Hitler-Gegner musste 1938 ins Gefängnis wegen seiner Liebe zu einem Mann. Später heiratete er die reichste Frau der Welt, die Woolworth-Erbin Barbara Hutton, die ihn noch attraktiver fand als seinen Vorgänger Cary Grant. Gottfried von Cramm: ein Weltstar, geliebt und geachtet, über Jahrzehnte wahrgenommen als Gesicht eines Deutschlands, das man mögen kann. Link zum Buch auf der Verlagsseite: Der schöne Deutsche - Jens Nordalm | Rowohlt Link zum Gespräch in der Tucholsky-Buchhandlung, Berlin: Youtube Link zum Gespräch in
radioeins mit Knut Elstermann am Link zur Radioausstrahlung der
Lesung in der Buchhandlung Löwenherz in Wien am
Der Historismus im besten Lichte; längere zusammenhängende Auszüge aus zehn bedeutenden historischen Werken; mit größerem Essay und einleitenden Texten; im Ganzen der Versuch einer Neufassung des Phänomens in seiner überragenden und andauernden Bedeutung für die moderne Geschichtswissenschaft.
Auszug aus dem Einleitungsessay: download (pdf) Die Untersuchung gilt dem in seiner Generation einstmals als führend erachteten Historiker Erich Marcks. Es soll ein integrativer Ansatz der Erforschung historiographischer Oevres exemplarisch vorgeführt werden. Historie ist literarische Hervorbringung, sie hat wie Literatur eine wesentlich formale Seite und zeigt sich beeinflußt durch literarische Erzählverfahren; Historie ist aber zugleich Wissenschaft in einem disziplinären Entwicklungszusammenhang und sie ist Politik, die sich aus politischer Lebenspraxis und Zeitgenossenschaft speist. Des weiteren zielt die Studie auf eine grundsätzliche Verteidigung des Historismus gegen die Anwürfe seiner zahlreichen Verächter. Die im Irrationalismus-Vorwurf gipfelnden Gemeinplätze der Kritik werden im Angesicht der Texte und von einem geschichtstheoretisch-narrativistischen Standpunkt aus zurückgewiesen.
Besprechung des Buches in der „Historischen Zeitschrift”: download (pdf)
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